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Die Frage, ob die Corporate Academy in unserer schnelllebigen, content-überfluteten Lernwelt noch relevant ist, beschäftigt mich sehr. Ist sie ein Auslaufmodell oder steht sie vor einer Renaissance? In meiner letzten Good Morning L&D Session hatte ich das Vergnügen, mit Thomas Mück, Head of Learning and Development bei der Würth-Gruppe, darüber zu sprechen. Thomas hat eine Perspektive auf L&D, die ich als radikal anders und zutiefst inspirierend empfinde. Er zeigt, wie L&D nicht nur zur internen Mitarbeiterentwicklung beiträgt, sondern direkt zum Geschäftserfolg werden kann.
Was mich an Thomas‘ Ansatz von Anfang an fasziniert hat, ist seine Überzeugung, L&D nicht als reines Kosten-Center, sondern als strategischen Business-Katalysator zu sehen. Aus seiner eigenen betrieblichen Praxis heraus identifizierte er einen entscheidenden Schmerzpunkt: Gelerntes aus Trainings wurde oft nur mit großer Verzögerung in die Praxis transferiert. Sein Business Case bei Würth war daher mutig und neuartig: Er wollte zeigen, dass Learning als echtes Business funktionieren kann.
Die Würth-Akademie startete klassisch als interne Weiterbildung, hat sich aber enorm entwickelt. Heute betreut sie jährlich über 30.000 Teilnehmende – der Großteil davon extern. Für mich ist das ein fundamentaler Paradigmenwechsel: L&D als direkten Wertschöpfungsfaktor für externe Kunden zu verstehen! Thomas bringt es auf den Punkt:
„Also, wir haben das Thema Learning nicht als Business-Modell weiterentwickelt, sondern wirklich als Business-Katalysator für unsere Kernleistungen und Kernprodukte.“
Ein zentrales Learning aus unserem Gespräch war für mich die Rolle von L&D als integraler Bestandteil der Sales- und Marketingstrategie. Thomas illustrierte dies am Beispiel der Handwerksbetriebe, Würths Kernklientel: Eine Million Betriebe in Deutschland mit durchschnittlich sechs Mitarbeitenden, die statistisch gesehen nur an zwei Trainingstagen pro Jahr teilnehmen. Hier herrscht ein intensiver Wettbewerb unter den Lernanbietern.
Thomas‘ Ansatz: Den Mehrwert für den Kunden generieren, der sich direkt in dessen Profit niederschlägt. Er ging selbst zu den Kunden, fuhr anfangs sogar kostenlos dort hin, um den direkten Nutzen spürbar zu machen.
Das Ergebnis? Keiner der Kunden sagte, es hätte nichts gebracht.
Werden Kunden durch die Trainings profitabler, führt dies zu einem erhöhten Materialverbrauch der Würth-Produkte. Dabei geht es nicht nur um Produkt-Trainings, sondern auch um Resilienz, Kommunikation oder den Umgang mit Softwarepaketen. Thomas bringt es auf den Punkt:
„Also wir müssen immer den Unternehmer sehen, nicht das Produkt oder die Wertschöpfung, die unser Kunde tätigt.“
Für mich ist L&D hier „das neue Marketing“. Während ein Vertriebsmitarbeiter vielleicht 20 Minuten beim Kunden hat, bietet ein Training acht Stunden „Sendezeit“ für die Marke Würth. Bei einem mehrtägigen Zertifikatslehrgang sind es sogar fünfmal acht Stunden. Das ist eine unglaubliche Reichweite und Markenpräsenz.
Ein weiterer wichtiger Aspekt, den Thomas ansprach, ist die unverzichtbare Rolle des physischen Lernens, besonders im Handwerk. Auch wenn die theoretische Kompetenzvermittlung immer digitaler wird, bleibt das Haptische, das Physische, das Tun essenziell. Thomas ist klar:
„Da wird kein Weg dran vorbeiführen, dass wir als Academies nach wie vor eine Daseinsberechtigung haben.“
Dieser Fokus hat bei Würth zu einem starken Trend hin zu In-House-Trainings geführt. Statt dass Kunden zur Akademie kommen, geht Würth mit Trainern und Material direkt zum Kunden aufs Land. Diese „mobilen Klassenzimmer“ sind ein Zukunftsmodell. Hinzu kommt die gesellschaftliche Verantwortung: Thomas setzt sich für einen Schulterschluss mit den Handwerkskammern ein, um den Stand der Technik durch konkrete Angebote wie das Meisterschulenprogramm voranzutreiben.
Was mich besonders beeindruckt hat, ist, wie Thomas den Erfolg von L&D misst – weit entfernt von üblichen Kennzahlen wie „Lernzeit“. Für ihn sind die ausschlaggebenden Metriken die Anzahl der Teilnehmenden und das Wachstum dahinter. Wenn die Angebote nicht attraktiv sind, sinken die Zahlen. Selbst in Krisenzeiten wächst Würth signifikant. Das ist für ihn der Beweis für die Relevanz der Bildungsprodukte.
Thomas sieht L&D nicht als reines Kosten-Center. Durch Einnahmen aus den Trainings kann die Corporate Academy ihre Kosten neutralisieren und eine „gesunde schwarze Null“ erzielen. Das ist für mich ein überzeugender Business Case, der zusätzlich zum Investment in die Mitarbeiterentwicklung wirkt.
Wie kannst du diesen Wandel anstoßen? Thomas betont die Bedeutung eines „Tone from the top“ und eines Sponsors, der die L&D-Strategie als integralen Bestandteil der Gesamtstrategie versteht. Der nächste Schritt ist, sich einen „Seat at the Table“ zu erkämpfen und gleichberechtigt mit Marketing und Vertrieb mitzudiskutieren. Der Bruch mit der traditionellen HR-Konditionierung ist dabei entscheidend: Es geht darum, vom Kunden her zu denken.
Die Lernbedarfsanalyse muss tiefgreifender sein. Nicht direkt fragen, was die Leute lernen müssen, denn oft wissen sie das nicht so genau. Vielmehr muss man die unternehmerischen Herausforderungen und Visionen verstehen. Thomas geht dazu vor Ort, schaut sich Betriebe an und erzählt dann seine Wahrnehmung. So kann er gemeinsam eine maßgeschneiderte Lösung entwickeln, die sich dann als dessen Produkt anfühlt. Thomas‘ Team hilft dabei, relevantes Wissen zu vermitteln: „Also wir maßen uns nicht an, zu sagen, das ist das relevante Wissen, sondern wir fragen, was ist das für dich relevante Wissen und wie dürfen wir es dir vermitteln.“
Welche Kompetenzen werden in Zukunft wichtiger? Thomas nennt eine starke unternehmerische Ausprägung und Kompetenz, um den Markt zu beobachten und zu antizipieren. Dazu gehört, Dinge zu versuchen und Märkte zu erschließen. Eine hohe Prozesskompetenz und ein unglaublicher Kundenfokus sind ebenfalls entscheidend. Jede Reklamation ist eine Chance.
Die Session mit Thomas Mück war ein absoluter Augenöffner. Sie hat mir gezeigt, dass Learning und Development weit über die internen Grenzen hinausgehen und zu einem echten Business-Development-Treiber werden können. Die Transformation vom Kosten-Center zum wertschöpfenden Partner ist nicht nur visionär, sondern auch pragmatisch umsetzbar.
Thomas‘ Elevator Pitch, als ich ihn nach seiner Botschaft an den CEO fragte, brachte es auf den Punkt:
„Was würden Sie davon halten, wenn ich es schaffe, das Cost Center in ein kostenneutrales Businessmodell umzuändern? Beziehungsweise haben Sie schon mal darüber nachgedacht, ob nicht unsere klassischen Vertriebsmodelle in Zukunft nicht mehr funktionieren und dass wir es mit Learning schaffen würden, uns beim Kunden einzudesignen? Wollen wir das mal versuchen? Geben Sie mir mal ein bisschen Zeit.“
Dieser mutige Ansatz, der sogar die Vertriebsmodelle in Frage stellt, hat bei Würth Früchte getragen und sollte uns alle inspirieren, die Rolle von L&D neu zu denken.
Was denkst du darüber? Siehst du auch das Potenzial für deine Corporate Academy, zum Business Enabler zu werden? Teile deine Gedanken in den Kommentaren oder auf LinkedIn! Ich freue mich auf den Austausch mit dir und deiner L&D-Community!