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Ist die „Skill-Based Organization“ (SBO) wirklich der heilige Gral für die Zukunft von Learning & Development? Oder ist es nur der nächste Hype, der durch die Gänge unserer Unternehmen geistert? Ich wollte es genau wissen und habe für meine letzte Session von „Good Morning L&D“ zwei echte Pioniere eingeladen, die nicht nur darüber reden, sondern es tatsächlich tun.
Mein Ziel war es, die Diskussion über das Buzzword hinaus zu führen und zu verstehen: Was bedeutet dieser Wandel wirklich für uns, für unsere Mitarbeitenden und insbesondere für die Rolle von uns als L&D-Professionals? Dafür hatte ich das Vergnügen, mit Meredith Wellard, der ehemaligen VP of Learning and Growth bei DHL, und Dr. Manuel Smukalla, dem Head of Skills Intelligence bei Bayer, zu sprechen. Beide haben in ihren globalen Konzernen die anspruchsvolle Reise zur SBO von Anfang an gestaltet. Was ich aus diesem Gespräch mitgenommen habe, hat meine Sichtweise nachhaltig geprägt.
Mein größtes Learning vorab: Die Idee, auf Fähigkeiten zu setzen, ist nicht brandneu. Neu ist, dass wir durch Technologie endlich die Werkzeuge haben, um dieses Konzept in großen Organisationen skalierbar und lebendig zu machen. Manuel brachte es auf eine einfache, aber kraftvolle Formel:
„I would keep it very short and say a skill-based organization is one that prioritizes employee skills and competencies over traditional job titles.“ – Manuel
Es geht also darum, den starren Blick auf Jobtitel und Abteilungsgrenzen zu überwinden. Meredith machte das mit einem wunderbaren Beispiel greifbar: Eine Person, die im Marketing arbeitet, besitzt vielleicht genau die Kommunikations-Skills, die in einer anderen Abteilung für eine Comms-Rolle gebraucht werden. Ihre Erkenntnis dazu ist für mich der Kern der Sache: „It doesn’t matter, you know, whatever the skills are. And I think that’s important. That’s a big shift.“ In einer SBO schauen wir auf das, was ein Mensch kann, nicht nur darauf, welcher Titel auf seiner Visitenkarte steht.
Einer meiner persönlichen „Aha-Momente“ im Gespräch war, als Manuel die provokante Frage stellte, die sich wohl jedes HR-Team stellen sollte:
„You know, how can it be that platforms like LinkedIn or others know more about our employees than we as an employer?“ – Manuel
Diese Frage legt den Finger in die Wunde und führt direkt zum Kernprinzip, das Manuel bei Bayer vorantreibt: „Talent Flow“. Die Idee dahinter ist revolutionär und simpel zugleich. Manuel erklärt: „Talent flow has at its core that we’re moving talent to work rather than work to talent.“ Wir hören auf, in festen Silos nach passenden Leuten für eine Aufgabe zu suchen. Stattdessen schaffen wir Transparenz über die vorhandenen Skills und ermöglichen es Talenten, sich dorthin zu bewegen, wo sie und ihre Fähigkeiten gerade gebraucht werden.
Meredith erinnerte mich dabei an den alten Management-Grundsatz von Jack Welch, „die richtigen Leute in den Bus zu holen“. Heute, so ihre Schlussfolgerung, ist das Konzept wieder da, aber es hat sich weiterentwickelt: Wir holen die richtigen Leute in den Bus und entscheiden dann flexibel und gemeinsam, auf welchen Sitzen sie den größten Wert schaffen können.
Der größte Hebel für den Erfolg einer SBO liegt, da waren sich beide einig, im Nutzen für die Mitarbeitenden. Denn was nützt die beste Strategie, wenn niemand mitmacht? Das Herzstück ist hier oft ein „Opportunity Marketplace“ – eine interne Plattform, die nicht nur Jobs, sondern auch Projekte, Gigs und Mentoring-Möglichkeiten sichtbar macht, basierend auf den Skills der Mitarbeitenden.
Meredith betonte, wie eine solche Plattform für mehr Fairness und Chancengleichheit sorgt, weil sie die unsichtbaren Netzwerke und die „Kunst der Selbstvermarktung“ ein Stück weit aushebelt. Es geht um echte Demokratisierung von Karriere. Manuel beschreibt das als „unbossing the career“ – die Karriere wird aus der alleinigen Verantwortung der Führungskraft gelöst und in die Hände der Mitarbeitenden gelegt.
Und dass dies keine Theorie ist, sondern echte Emotionen und eine unglaubliche Bindung schafft, bewies Manuel mit einer Anekdote, die mich tief berührt hat: Ein Mitarbeiter aus Japan bekam über die Plattform die Chance, an einem internationalen Projekt mitzuarbeiten – eine Möglichkeit, die er in der alten Welt nie gehabt hätte. Kurz darauf veröffentlichte er aus eigenem Antrieb ein authentisches, ungeskriptetes Video, in dem er voller Begeisterung von seiner Erfahrung berichtete. Für Manuel war das der ultimative Beweis, dass sie auf dem richtigen Weg sind. Am Ende geht es um diese eine, simple Frage, die sich ein solcher Mitarbeiter stellt:
„Why would I leave when that exists in my company?“
Genau das ist die Antwort auf unsere Herausforderungen in Sachen Mitarbeiterbindung und Engagement. Technologie ist hier der Katalysator, aber wie Meredith richtig anmerkte: „Technology will never solve it. It will never solve it… it still requires people to make choices.“
Wenn die Mitarbeitenden so viel Autonomie erhalten, was bedeutet das für die Führungskräfte? Für mich war das eine der spannendsten Fragen. Meredith brachte es auf den Punkt:
„This is more change management on a people perspective than it is technology implementation.“ – Meredith
Der Wandel zur SBO ist in erster Linie ein Kulturwandel. Die größte Hürde und gleichzeitig der größte Hebel ist der Mindset-Shift bei den Managern. Manuel hat dafür eine brillante Formulierung gefunden, die ich mir sofort notiert habe: Führungskräfte müssen sich vom „Talent Holder“ (Talent-Horter) zum „Talent Exporter“ (Talent-Förderer) entwickeln. Ihre Aufgabe ist es nicht mehr, ihre besten Leute bei sich zu halten, sondern sie für die gesamte Organisation zu entwickeln und ihren nächsten Karriereschritt zu fördern – auch wenn dieser außerhalb des eigenen Teams liegt.
Okay, das klingt alles großartig, aber auch gewaltig. Wie fängst du also an, ohne dich zu überfordern? Die Ratschläge meiner Gäste waren erfrischend pragmatisch.
Manuels Rat: „Go where the energy is.“ Starte nicht mit einem Big Bang in der gesamten Organisation, sondern dort, wo die Offenheit und die Notwendigkeit am größten sind – oft in Bereichen wie IT oder Forschung & Entwicklung, wo bereits in Projekten und Skills gedacht wird.
Merediths Appell ergänzt das perfekt: „So, you know, do something so you can get that change progressing as early as possible.“ Warte nicht auf den perfekten Plan. Beginne, schaffe erste Sichtbarkeit, lerne agil auf dem Weg und passe dich an. Der Versuch, alles von Anfang an exakt zu definieren, führt zur Lähmung. Sichtbarkeit von Skills, auch wenn sie unvollkommen ist, ist immer besser als gar keine Sichtbarkeit.
Dieses Gespräch hat für mich eines unmissverständlich klar gemacht: Die Skill-Based Organization ist keine ferne Utopie mehr, sondern eine reale und notwendige Antwort auf die Dynamik unserer modernen Arbeitswelt. Technologie ist der Enabler, aber der Erfolg hängt von uns Menschen ab – von mutigen Führungskräften, die loslassen können, und von selbstbewussten Mitarbeitenden, die ihre Entwicklung in die eigene Hand nehmen.
Gerade im Zeitalter der KI, wo wir versucht sein könnten, alles an die Technik zu delegieren, werden empathische Gespräche und echtes Coaching zum Klebstoff, der die Organisationen von morgen zusammenhält.
Jetzt bin ich gespannt auf deine Perspektive:
Was ist deine größte Hürde oder dein größter Hebel auf dem Weg zu einer kompetenzbasierten Organisation?